Cap Anamur Geschäftsführer Bernd Göken auf ein Wort in der Gesamtschule Eifel

Es gibt Tage in der Schule, die plätschern ein bisschen vor sich hin, keine Aufregungen, keine Geschehnisse, mit denen man sich groß auseinandersetzen muss, also auch überhaupt keine unangenehmen Tage, kann man so sagen. Es gibt aber auch Tage, die wirken länger nach, die lassen Ideen entstehen, eröffnen Handlungsspielräume, die man vorher vielleicht gar nicht gesehen hat. Diese Tage bieten ein Zeitfenster, in welchem man – im besten Fall ganz bei sich – Menschen zuhören darf, die sehr unaufgeregt davon berichten, wie unser Handeln „politisch, und auch immer menschlich“ im Sinne Hannah Arendts sein kann. Bernd Göken, der Geschäftsführer von Cap Anamur, einer seit mehr als 40 Jahren bestehenden unabhängigen Hilfsorganisation, berichtete an unserer Schule darüber, wie der Verein in mittlerweile mehr als 50 Ländern weltweit Hilfe für Menschen in Not bietet. Besonderes Augenmerk legte er dabei auf die Hilfe in Afghanistan, im Sudan, im Libanon und in Nordkorea. Schwerpunkt der Arbeit von Cap Anamur ist der Aufbau und die Sicherstellung der medizinischen Versorgung, so Göken in seinem Vortrag, der alles andere als ein gewöhnlicher Vortrag war. Die Schülerschaft verfolgte konzentriert das Gesagte und nutzte den gestellten Raum für Fragen. „In welchem Land ist es am gefährlichsten für Ihr Team?“ oder „Wie verarbeiten Sie die vielen negativen Eindrücke?“ waren nur zwei von vielen. Die Antworten darauf waren erstaunlich unspektakulär, manchmal auch nahezu grotesk. Auf die Erkundigung, wie man sich die Kommunikation mit den Taliban vorstellen müsse, kam die Antwort: „Die Zusammenarbeit mit den Taliban ist seit deren Machtübernahme in Afghanistan und dem Rückzug aller anderen Länder erstaunlich unkompliziert. Gefährlich war es für unser Team, als die Taliban die Macht wollten und noch nicht hatten. Sie haben nun ein System mit Ministerien, Verwaltung und transparenten Gesetzen installiert. Nur sind diese Gesetze zutiefst menschenverachtend, vor allem im Hinblick auf die Mädchen und Frauen.“ Bernd Göken erzählte vom mühsam erkämpften Recht, eine Schule für alle bauen zu können, in der Jungen und Mädchen gemeinsam unterrichtet werden, auch als Jugendliche. Während der letzten zwei Jahre ging diese Errungenschaft nach und nach verloren, zuletzt musste sie ganz aufgegeben werden, denn Mädchen dürfen in Afghanistan nur noch bis zur sechsten Klasse in die Schule gehen, eine höhere Ausbildung ist ihnen verwehrt. Mit diesem neuen „Tugendgesetz“ hat das Taliban-Regime die Frauenrechte jüngst weiter eingeschränkt.

Die eigentlich sehr naheliegende Frage nach der persönlichen Gefahr während des Einsatzes in Krisen- und Kriegsgebieten erscheint im Laufe des Vortrags immer weniger relevant angesichts des überwältigenden Eindrucks, dass man irgendwie „etwas tun muss“. Menschen helfen, da sein, wo es nötig ist. Diese Idee existierte schon bei der Entstehung der Organisation – dass Humanität radikal zu verteidigen ist, überall. Bernd Göken erzählt von seinem Erlebnis aus einer Region im Sudan, den Nuba-Bergen und von dem dort lebenden gleichnamigen Volk, die seit vielen Jahren zwischen dem muslimischen Norden und dem christlichen Süden in einem Grenzgebiet leben, dessen Gegenwart umkämpft und Zukunft ungewiss ist. Eindrücklich schildert er die „Foxholes“, Erdlöcher, in die man sich retten muss, falls wieder einmal ein großes Transportflugzeug die Gegend überstreicht. Wenn es Augenblicke später in den Sturzflug geht und aus der geöffneten Ladeluke die Bomben fallen, gewähren nur die Foxholes gewissen Schutz und Deckung. „Und dabei werden dann oft durch Zufall eigentlich unbeteiligte Leute getroffen, weil das natürlich nicht besonders gezielt ist. Aber ich habe in meiner Zeit erlebt, dass einmal eine komplette Schulklasse getötet wurde“, so Göken.

Dass sich in den Nuba-Bergen nach einem Waffenstillstand 2001, der Cap Anamur dort die Errichtung eines Krankenhauses ermöglichte, die Lage inzwischen wieder so sehr verschlechtert hat, dass der Sudan als eine der „größten vergessenen Kriegszonen unserer Zeit“ gilt, wirft kurz ein Licht auf die potenzielle Aussichtslosigkeit von Hilfsbemühungen jedweder Art. Aber wirklich nur kurz. Denn den größten Eindruck machen die Schilderungen Gökens der Menschen, denen wirklich nachhaltig geholfen werden konnte – da, wo man tatsächlich „etwas tun konnte oder kann“. Und ganz konkrete Beispiele für eine Maxime zeigt, die wir auch an der Gesamtschule Eifel durch Literatur, Kunst, Philosophie oder Politik versuchen, der Schülerschaft zu vermitteln: „Unser Handeln ist politisch und doch immer menschlich“. Unser Handeln ist „die einzige Tätigkeit, die sich ohne die Vermittlung von Materie, Material und Dingen direkt zwischen Menschen abspielt“, um noch einmal Hannah Arendt zu bemühen.

Abgerundet wurde die Veranstaltung durch eine Live-Schaltung zu Emma Göken, einer ehemaligen Schülerin der Gesamtschule Eifel und Absolventin des Jahrgangs 2023. Sie leistet zurzeit einen Freiwilligendienst in Uganda, und hilft dort dabei, Mädchen und junge Frauen zu „empowern“, ihren eigenen Weg zu gehen, Bildung für sich zu entdecken und im bestehenden System Möglichkeiten zu finden, diese Stärke nicht für sich selbst zu nutzen, sondern sie auch an andere weiterzugeben. Es war nicht nur schön zu sehen, sondern insbesondere sehr wertvoll für alle Anwesenden zu erleben, wie ein junger Mensch die Idee des politischen, aber vor allem menschlichen Handelns für sich verwirklicht und daran – nicht ohne eigene Krisen – auch persönlich wächst. Es war ein sehr hoffnungsvolles Ende dieses Tages, der so gar nicht wie alle anderen vor sich hinplätscherte, sondern stattdessen erlebbar machte, wie unser Handeln, politisch wie zwischenmenschlich, bestimmt, wer wir sind und was für ein Ort unsere Welt ist.

Text: Rebekka Bongart