Georg Büchners „Woyzeck“ in Nettersheim

Vorhang auf. Das zweite Mal.

Zum zweiten Mal stellte der Literaturkurs der Q1 in Nettersheim ein Theaterstück vor, auf dessen Aufführung die Schülerinnen und Schüler das ganze Schuljahr hingearbeitet hatten. Ihre Vorgänger:innen hatten im Vorjahr „Alice im Wunderland“ auf die Bühne gebracht, diesmal einigten sich die Beteiligten auf das Drama „Woyzeck“ von Georg Büchner. Es ging daher weniger fantastisch, dafür umso zeitbezogener zu, denn wie sich das Individuum angesichts der gesellschaftlichen Zwänge und Erfordernisse schlägt – oder wie es heute heißt: „struggelt“ – das ist nicht nur vor dem vorindustriellen Hintergrund der Epoche Büchners aufschlussreich, sondern auch unter dem zeitgenössischen Aspekt interessant. Darüber hinaus boten die offene Form und die im Drama verwendete Sprache den Schauspieler:innen sowie der Regie weitere Anknüpfpunkte zum Einsatz ihrer Gestaltungsmöglichkeiten.

Von drückender Armut, chronischer Krankheit und emotionaler Abhängigkeit – also den Dingen, die gemeinhin als die äußeren Umstände bezeichnet werden – gefangen genommen, schlägt sich Franz Woyzeck (gespielt von Jason Hoffmann) durch den Abend. Auf seinem Weg begegnet er Menschen, die ihn wahlweise ausnutzen, sich über ihn erheben, ihn lächerlich machen oder lediglich als Experiment betrachten. Seine Freundin Marie (dargestellt von Nadja Stijf), mit der er einen kleinen Sohn hat, ersehnt ein ganz anderes Leben, als das, was er ihnen bieten kann und so geraten auch sie mit der Zeit in einem sich immer weiter zuspitzenden Konflikt.

Die kreativen Ideen des Kurses – das von Woyzeck fantasierte Einhorn, der obligatorische Streit während des Einkaufs bei Ikea oder eine gemeinschaftliche Tanzeinlage – tragen dazu bei, das Stück unterhaltsam und phasenweise sogar amüsant zu machen, wobei die Inszenierung aber nie das Gespür für die Tragik der Hauptfigur verliert.

Angesichts der beachtlichen Gesamtleistung des Ensembles fällt es schwer, einzelne schauspielerische Aktionen besonders herauszustreichen. Wie jedoch der überhebliche Hauptmann – von Michael Caspers verkörpert – den Woyzeck mit seinen inhaltslosen Ausschweifungen über die Tugend des Menschen noch tiefgehender verwirrt, ist absolut sehenswert. Das gilt auch für die wissenschaftliche Verblendung des Doktors – gespielt von Elena Weiffenbach – die dazu führt, dass am Ende nicht mehr das Wohlergehen des Patienten, sondern nur noch der Vollzug des Experiments einer ausschließlich aus Erbsen bestehenden Diät zählt. Wie die Schauspielerin zusätzlich durch eine Gesangseinlage gleichermaßen die Schönheit der Liebe und die Verzweiflung Woyzecks an dieser und der Welt im Allgemeinen zum Vorschein brachte, ist ein weiterer Höhepunkt der Inszenierung.

Am Ende zerbricht Woyzeck an den Umständen, denn – anders als sein Freund Andres (Esra Hansen) ihm mit „Three Little Birds“ von Bob Marley zu Beginn des Stücks noch zu überzeugen versucht – es wird nicht immer alles gut.

Selbst nach einem Jahr der intensiven Beschäftigung mit dem Stück und vielen Proben, kann es nur als beeindruckend bezeichnet werden, wie Schauspieler:innen, Regie und Technik am Abend der Premiere über sich hinausgewachsen sind. Die betreuende Lehrerin hat das nicht nur beglückt, sondern auch ein bisschen stolz gemacht.

Nicht vergessen werden darf, wie der Kunstkurs der Q1 durch eine Vielzahl von Interpretation wichtiger Themen des Stücks in Bildform zum Gelingen des Abends beitrug. Die Werke sind weiterhin in der Mensa des Schulstandorts Nettersheim zu finden.

Text: Rebekka Bongart